Oder was man auf dem Weg nach Hamburg alles lernen kann.
Die letzten Monate waren turbulent, frustrierend, betriebsam und auch mit unvergesslich schönen Erlebnissen gefüllt. Leider waren sie auch wie ein Karussell, welches sich immer und immer weiter dreht und dir keine Chance lässt abzusteigen. Also bin ich gefahren, habe funktioniert, die Bremse gesucht und versucht das Beste daraus zu machen. Irgendwann musste ich von der Achterbahn auf das Kettenkarussell wechseln, aber auch da ging es immer rund und rund. Verpflichtungen, selbst auferlegt und von außen vorgegeben, haben mich angetrieben. Du kannst den nicht hängen lassen, du musst das bis dahin fertig haben – mein Mantra an jedem neuen Tag. Persönlicher Ergeiz, Verantwotung gegenüber dem Job, der Familie und das Bedürfnis den Kontakt zu Freunden nicht zu verlieren haben mich über Wasser gehalten, aber eben auch immer ein wenig zu intensiv schwimmen lassen. Seit mehr als einem Jahr liegen mir meine Ärzte in den Ohren…. Sie müssen was ändern heißt es. Das macht ihr Herz nicht mehr lange mit, da streikt ihr Rücken bald, das kann den nächsten Sarkoidoseschub auslösen…. nur bei dem ‚was ändern‘ da wollte sich keiner so recht festlegen… die Achterbahn anhalten ohne das man beim Bremsen übel stürzt? Vom Kettenkarussell runterspringen? Nun den Fahrgeschäfte-Wechsel hat mir das Leben vor die Füße geworfen und ich bin ohne jede Wahlmöglichkeit umgesprungen. Und ich habe den Sprung überlebt – nicht nur sprichwörtlich wie sich herausgestellt hat. Mein Herz wollte aufgeben, mehr als einmal hat es angehalten, überstürzt weiter geschlagen und gekämpft. Einmal musste es dazu überredet werden, aber dafür habe ich ja schließlich die eingebaute Lebensversicherung- scheiss weh hat es getan als der Defi seinen Zweck erfüllt hat. Zumindest war ich ihm dankbar, nicht so wie vor 7 Jahren, als ich mich gefragt habe, wozu das alles. Nein ich wollte überleben, egal wie weiter machen. Und so sitze ich im Kettenkarussell, versuche es spaßig zu sehen, mit den Beinen zu baumeln und mit jeder Runde ein Stück mehr ’neues Dasein‘ aufzubauen.
Kurz nach diesem Sprung war mal wieder Fahrkartenkontrolle… aufgezeichnete Daten wurden mit meinem Patiententagebuch abgegelichen. Auch wenn vorher jeder geschworen hat, dass ich einen solchen Wechsel – nicht nur von Karussell zu Karussell sondern sogar zur nächsten Kirmes nicht überleben würde, haben die Daten gezeigt, dasss es am wichtigsten war die Achterbahn zu verlassen. Auch wenn mein Herz immer noch zu schnell schlägt, es stolpert nicht mehr. Ein Schritt nach vorne. Natürlich reicht das nicht für ein wirkliches Leben, aber es ist ein Anfang. Mit dieser Aussicht haben mich die Ärzte weiter fahren lassen, allerdings auch mit Auflagen. Bis zur nächsten Kontolle muss ich das Karussell einmal verlassen. Ganz! Nur ich, für mich, keine Verantwortung, keine Verpflichtung, keiner, der meine Zeit beansprucht. Nicht für ein paar Stunden, sondern für mindestens eine Woche. Wenn mir das nicht gelingt, dann musss ich damit rechnen, ganz aus dem Geschäft zu fliegen, vielleicht zu überleben, aber ohne jede Aussicht auf Leistungsfähigkeit, Teilhabe am Arbeitsleben und mehr. Ein Herz kann nur begrenzt zum Schlagen gezwungen werden und mit jeder Wiederbelebung erleidet es nicht gut zu machenden Schaden.
Soweit die Vorgeschichte- was hat das mit Ingelore oder Elisabeth zu tun? Fragt ihr euch vielleicht. Warum machen diese 7 Tage so einen gravierenden Unterschied? Das habe ich mich gefragt. Hier die ersten Schritte zur Lösung:
Damit ich eine Woche nur für mich hinbekomme, habe ich 9 Nächte Hamburg geplant, 2 Tage mehr, schließlich ist Auto fahren keine Erholung. Ich liebe Hamburg, die Menschen, die Nähe zum Meer, die Elbe und alles was dazu gehört. Hier habe ich Familie und Freunde, die sich zwar freuen, wenn sie mich sehen, aber in keiner Weise auf mich angewiesen sind bzw. die selber in so einer gesundheitlichen Zwickmühle stecken. Also alles kann, nichts muss! Damit das so bleibt buche ich für kleines Geld statt mich bei jemandem einzunisten – Kettenkarussell fahren ist teuer (von der Achterbahn mal ganz zu schweigen) – ein Zimmer über Airbnb am Stadtrand und lege mich vorher nicht fest was ich mache, mit wem oder wo… naja mit einer klitzekleinen Ausnahme – meine Leidenschaft Musical bedingt eine Karte und die wird im Vorfeld organisiert.
Und so mache ich mich auf den Weg – wohl durchdacht und geplant mit der üblichen Verspätung, weil ja doch etwas dazwischenkommt. Kurz vor der Wohnungsübergabe meldet sich ein verstopftes Rohr und die Küche möchte nicht überschwemmt werden. Aber schlussendlich kann ich mich ruhigen Gewissens auf den Weg machen. Knapp 400 Kilometer gen Norden, Radio an, weil wo sonst, wenn nicht im Auto höre ich Nachrichten? Kilometer fressen ist angesagt, schließlich muss Tinka ja mal durchgepustet werden und leicht angespanntes Fahren. So verbringe ich die Zeit – kurz vor dem Karmener Kreuz meldet mein Navi, ich sollte die A1 verlassen und Münster großräumig umfahren. Stimmt habe ich eben im Radio gehört, ein LKW Unfall verursacht gut 90 Minuten Verzögerung. Braucht kein Mensch, also Wechsel ich auf die A2 und mein Navi verkürzt um glatte 30 Minuten. Puh, wieder nah am Plan.
Klopf klopf… was ist? Klopf klopf… was willst du? Denk mal nach…. früher… als du noch jeden Tag knapp 100 Kilometer gefahren bist… Ja und? Was hast du da immer gemacht? Was hast Du gesagt? …. das war in einem anderen Leben! Na gut ist gerade 8 Jahre her oder 9…. der Weg war Entspannung. Also was willst du, du blöde innere Stimme?
Ingelore! Meine Rolle im Theater im Mai! Frühere Opern(Chor) Sängerin – das Singen war ihr Leben! Aber nach einer Kehlkopfentzündung war es nicht mehr das selbe. Ja, meldet sich mein Alter-Ego… das Singen war Teil deines Lebenstraum… so wie das Tanzen und Schauspielern. Okay tanzen schafft dein Herz nicht mehr, Singen geht nach der Kehlkopfentzündung im echten Leben nicht mehr… aber du sitzt im Auto! Keiner hört dich, so wie früher auf dem Weg zur Arbeit oder nachhause. Also sing! Hier hört keiner wenn die Töne abbrechen, hier bist du allein wenn du dich auslachen musst! Hier brauchst du nicht die eingebildeten Marotten von Ingelore, deiner Bühnenfigur, sondern bist einfach für dich! Okay Gewonnen, ich wechsel von Radio auf CD und schmetter als ginge es um mein Leben. Und das tut es auch! Mit jedem Song, den ich singe kommt eine Erinnerung – an Fehler die ich gemacht habe, an eine Liebe die ich verloren habe, an ein gebrochenes Herz, aber auch an die unendliche Liebe zu meinem Kind, die unverbrüchliche Treue meiner Mama, das unglaubliche Glück in diesem Leben aus jeder Situation gestärkt hervorgegangen zu sein – Lebensfähiger! Besser in der Lage, das Gute im Leben zu sehen. Ich breche ab, wo meine Stimme nicht mehr reicht, die zusätzliche Erkältung Töne unterschlägt, aber ich singe, fühle und erlebe! Lebe wirklich mit allem für und wider. Selbst der Idiot, der meint aus zwei Spuren drei machen zu müssen, weil er ein Zweirad überholt und mich knapp hinter ihm nicht sieht, kann mich nur kurz aus dem Gleichgewicht bringen. Danke Ingelore, dass Du mich erinnert hast, was Singen bedeuten kann.
Plötzlich sind die Kilometer keine Qual mehr, nein es macht Spaß, die Zeit fliegt dahin und der Weg wird wieder zum Ziel. So wie früher, auf dem Weg zur Arbeit oder quer durch Deutschland einem Urlaub entgegen (damals meist am Segelflugplatz) Bilder meiner ersten großen Liebe stehen mir vor Augen, Bilder des ersten großen Herzschmerz…. des zweiten… und da komme ich von Ingelore zu Elisabeth… vielleicht nicht unbedingt genau heute (vielleicht auch doch) sagt dieser eine bekannte Musical Song alles aus, was für mich und wahrscheinlich viele Frauen gilt! Schon zu Beginn bohren sich die Sätze in meinen Kopf und mit jedem weiteren Stück Text legen sich die Puzzleteile zusammen. Das muss ich hier nicht schreiben, dass kann sich jeder anhören. Danke Elisabeth, mit diesem Lied ist so vieles gesagt – über betrogen sein, über wie man eine Frau halten kann, aber eben hauptsächlich das sie sich immer noch selbst gehört.
Ich bin am Anfang der „nur für mich“ Woche, aber ich habe auf diesem allerersten Schritt schon viel gelernt! Ich bin nicht mal im Ansatz bei „ich bin in der WG angekommen, um den See und an der Elbe spazieren gegangen und habe in der Dorfkneipe eigentlich nur ein ortstypisches Bier trinken wollen“ – aber warum 7 Tage einen so großen Unterschied machen können, das habe ich heute gelernt! Und das ich mehr als nur überleben möchte! Ich möchte da sein für die Menschen, die mich zu schätzen wissen, aber ich möchte darüberhinaus jeden Moment, auch den Weg, mit Qualität erfüllen, Qualität die mir Kraft gibt!