Mein IKEA Diplom

Zweimal Umziehen ist wie einmal abgebrannt heißt es und trotzdem glaubt man ja immer, dieser Kelch geht an einem vorüber.
Aber da ich in meinem Leben einige Male (mit 37 habe ich bei ich glaube 15 Mal aufgehört zu zählen) umgezogen bin, muss ich zugeben, es ist was dran. Auch ist es jedes Mal etwas mehr und komplizierter geworden. Irgendwann war ja auch das Kind mitzuziehen (und der betrachtet sich erst Recht als Experte, war er doch viel zu oft dabei), also wollte ich das eigentlich aufgeben! So eben mit 42…. immerhin habe ich es da zu meinem Rekord als Erwachsene gebracht – 7 Jahre in einer Wohnung und trotz der optisch nicht besten Lage war die Wohnung eigentlich toll. Meine Küche liebevoll zusammengestellt aus IKEA-Schränken verschiedenster Jahrzehnte, gewachsen über die diversen Grundrisse und ergänzt von selbst geschreinerten Fronten des besten Tischlers in meinem Leben. Sowohl diese Küche, als auch die Wohnung haben diverse Stürme mit mir überstanden und auch meinen Sohn gehen sehn. Hier habe ich meinen 2. Geburtstag gefeiert nachdem mein Herz im wahrsten Sinne des Wortes gebrochen ist, hier habe ich einige der besten Freunde meines Lebens kennengelernt…
Irgendwann dann kam der Zeitpunkt, dass ich mich von Wohnung und Küche verabschiedet habe. Da die neue Wohnung unübertrefflich schien, war es okay, aber sie hatte eben schon eine Küche und ich musste 30 Jahre Schränke sammeln hinter mir lassen. Das war in der aktuellen „abgebrannt“ Serie Nummer eins. Wer die Geschichte miterlebt hat weiß, es war zusätzlich eine harte Prüfung, da ich den Umzug mit all dem Kartons packen, Ämterärgereien, Telekom-Streitigkeiten und Wiederaufbau-Maßnahmen nur schwer angeschlagen überstanden habe… aber die 13 krank geschriebenen Folgemonate sind hier ja teilweise schon beschrieben… Ich habe eine neue Gartenoase entworfen, die Stuckdecken geliebt und mich mit der Küche (auch dank des Gasofen) versöhnt… nie mehr hier weg! Behindertengerecht, mitten in der Stadt… warum?

Erstens kommt es immer anders als man meistens zweitens denkt…. gerade mal 2 Jahre später muss ich wieder weiter. Garten wird ersetzt durch Balkon und das mir Wertvollste kommt eben in Kübel, Möbel werden so lange hin und her gedacht, bis ein Plan da ist, wie es passen kann… eigentlich ist ja vieles an Möbeln da… Aber trotzdem… da bleibt der Rest! Das Renovieren, die Böden, der Umzug an sich… das alles verschlingt in 0 Komma Nichts was an Kohle da ist. Und so bleibt für die Küche (okay und der ein oder andere kleinere Schrank in Flur und Bad) nichts über und viel Zeit bleibt auch nicht, gerade mal vier Wochen um die wichtigsten Entscheidungen zu treffen. Also kaufe ich eine gebrauchte Küche – Facebook sei Dank! Alle Elektrogeräte die Mensch so braucht dabei, kleines Geld und für die 3 Wochen zwischendurch bekomme ich einen Lagerplatz. Da wird doch nicht groß gemessen, oder? Nun ja, sie passt irgendwie, hm…. der Herd ist zu hoch für Standard-Arbeitsplatten…. die Spüle hat den Hahn auf der verkehrten Seite… Schrankraum ist minimal vorhanden, Schubladen? Wer braucht die schon… wo führt das hin?

Ich brauche Nachschub und Ergänzungen! Gott sei Dank findet sich in meinem Möbel-Fundus ein Grundstock aus abgewandelten Küchenschränke, die ich als Basis nehmen kann. Und wie sollte es anders sein, sind es doch IKEA Schränke. Was liegt also näher, als das freundliche Schwedische Möbelhaus erneut zu konsultieren? Immerhin höre ich die kleine innere Stimme, die daran erinnert: „du bist zwar stark genug, aber du darfst das nicht mehr anwenden!“ – ich bin ja lernfähig… begrenzt. Also lasse ich mir zusammenstellen was ich brauche, statt es selber aus Regalen zu hieven und habe am Ende etliche Kartons parat. Ich beginne mit dem der zu erst da ist – ein netter Hochschrank – und klügle aus, wie und wo ich den Korpus zusammen setze. Und siehe da, es ist wie Fahrad fahren, man verlernt nicht wie man eine IKEA Bauanleitungen liest. Das Grundgerüst liegt schnell vor mir und ein Plan in Verbindung mit dem was ich in Physik gelernt habe, sorgt dafür, dass das Schätzchen schließlich auch an Ort und Stelle steht. Die erworbene Bohrmaschine bewährt sich, ich denke sogar an die Wandbefestigung! Jetzt das Innenleben – Schubladen müssen her und so stecke, klicke und schraube ich vor mich hin…. Nein, da ist die zweite Schubladenfront verkehrt dran. Natürlich steht in der Anleitung kein Wort über das „wie löse ich die Front“. Gott sei Dank gibt es das Internet und ich werde fündig, tippscout.de (eine Seite die ich seitdem in meinen Favoriten habe) verrät mir wie es geht. Die Kommentare durchweg positiv und dankbar. Autsch denke ich mir noch, als ich lese, dass da jemand genau diesen Tipp gefunden hat, als er sich den Finger eingeklemmt hat. Also Front ab, umgedreht, wieder dran.  Die dritte Schublade geht wie Butterbrot schmieren, die vierte ist fast fertig und klick…. Autsch war untertrieben- man muss es den Dingern echt lassen, wenn die einmal einrasten, halten die wie verrückt und mein linker Zeigefinger mit. Bin ich froh, dass ich vorher den Fehler gemacht habe und weiß, das ich jetzt ruhig Blut bewahren muss und wie ich mich befreien kann. Unvorstellbar ich hätte mit der Schublade im Schlepptau ins Nebenzimmer, an den PC und dann suchen müssen…. So greife ich zum Schraubenzieher, der ja noch von Schublade 2 da liegt, entschnappe die Front und beschau mir den weißen unteren Ballen des Fingers, der in Sekundenschnelle anschwillt…. Salbe drauf, Läppchen drüber und weiter geht es….

Das ist ein paar Wochen, eine Magenverstimmung nebst Herz-Attacke und Erkältung her. Endlich habe ich alle Schränke und die vorbereitete Arbeitsplatte und muss „nur noch“ eine Arbeitszeile aufbauen. Aus dem Auto hoch geschafft habe ich es schon. Mit gewissen Schuldgefühlen, da ich die ärztlich vorgegebene Belastungsgrenze mal wieder überschritten habe (aber was willst Du machen, wenn Du es fertig bekommen musst und weißt Du kannst es).
Jetzt heißt es wieder Schränke aufbauen, ausrichten, verbinden, Arbeitsplatte drauf und fest machen – das ging sogar recht schnell mit dem Maß an Übung. Nochmal 5 Schubladen, einen Auszug und nur eine Tür! Füße dran, Oberschränke drauf, fertig! Ach nein! Da müssen ja noch Griffe dran! Irgendwo hab ich doch, oder?…. ja tatsächlich ich finde 6 Knöpfe nebst Schrauben in meiner Sammelkiste, montiere den Bohrer und denke kurz darüber nach, was ich mal gelernt habe… von Innen nach Außen Bohren? Nein ich entscheide mich für von Außen nach Innen und beim dritten Loch weiß ich auch warum! Jetzt noch den Auszug im mittleren Schrank anbringen und alles ist gut…. ein kleiner Tipp: wenn ihr einen 20 cm breiten Schrank habt, in dem rechts und links Schienen angebracht werden müssen, klügelt vorher aus, wo und bringt sie an, bevor ihr den Schrank zusammen baut! Ein Akkuschrauber und auch ein Standard-Schraubenzieher passen hier nicht mehr rein… irgendwann aber habe ich auch dieses Problem gelöst und schaue stolz auf die Küchenzeile, die gerade rechtzeitig fertig geworden ist, bevor ich nach Hamburg fahre. Jetzt sollte ich auf’s Sofa fallen und Feierabend machen, Dringender Rat meiner Mama, die ich mit Bildern und Facebook auf dem Laufenden halte… Tja Mama, warum bin ich Babett und nicht Andreas?

Also Andreas ist mein Bruder und immer wenn der was aufgebaut, gebohrt, geschraubt und ins Chaos gestürzt hat, dann hatte der eine Ulla, Babett etc. zum hinterher sauber machen und aufräumen. Schließlich ist so ein IKEA-Diplom ja genug für einen Tag. Diverse mir bekannte Männer sind da nicht anders. Aber ich bin ja Babett und habe keine weitere davon – ich mache natürlich mein IKEA Diplom am selben Tag wie mein Chaos Bewältigungs-Programm und bin noch ein paar Stunden beschäftigt bis ich ins Bett falle (Sofa lohnt da nicht mehr)

notwendiges Werkzeug das IKEA nicht dazu packt

notwendiges Werkzeug das IKEA nicht dazu packt

Rohbau

Rohbau fertig

Loch von aussen

Loch von aussen

Loch von Innen

Loch von innen

Das sind 20 cm

Das sind 20 cm

 

 

Hamburg – Meine Perle

Die letzten Tage waren mehr als ich mir jemals erträumt hätte. Nicht nur in meiner Einstellung zum „ich fahre wohin“, wie ihr gelesen habt, hat sich vieles bewegt. Dieser Urlaub war voll von Begegnungen, die mich begeistert haben.

Die Wiederentdeckung der Musik, das erste Treffen mit Dorit und Billy Elliot. Die Ruhe und Entspannung hier am See, das Schlendern durch verschiedenste Ecken in Hamburg… genauso die Keule von Zuhause, dass alles sofort und unerwartet vorbei sein könnte! Aber er lebt und kämpft!

Ich habe die Elbphilharmonie besucht, die Hafen City, Speicherstadt, Blankenese, bin im Hafen geschippter, war im Hard Rock Café, auf der Reeperbahn und auf dem Duckstein Festival… und nebenbei habe ich ganz in meinem Rhythmus gelebt. Wer mich kennt, weiß, dass der dem normalen Arbeits-8-Stunden-Tag entgegen steht. Früher habe ich das hin bekommen und meinen Schlafmangel alle 14 Tage ausgeglichen. Seit mein Herz nicht mehr so mitmacht, bin ich der Erholung immer hinterher gelaufen. Also war alleine das erleben „ich gehe spät ins Bett, stehe spät auf, ohne das mich der Wecker stört“ Gold wert. Verbunden mit der Tatsache, dass ich trotzdem ein Erlebnis an das andere hänge und neben phantastischen Stunden in Hamburg noch mehr Lust auf Hamburg (und Umgebung mit Menschen) entwickel, war es nicht nur Urlaub sondern Offenbarung!

Gestern und heute habe ich dem Ganzen die Stadtrand-Krone aufgesetzt. Zumindest Quasi – ein Treffen mit Anette ist immer eine Sache, die ich einerseits ins unendliche ziehen könnte, die aber auch den Respekt vor der Last der anderen in sich trägt. Freunde, mehr als nur irgendeine Bekannte, können sich alles sagen, sich selten sehen und es verkraften, wenn der andere sagt „jetzt geht es nicht“. Also freue ich mich über die 24 Stunden, die wir haben, genieße die Zeit mit ihr und ihrer Familie und bin dankbar, als sie mir sagt, jetzt geht es nicht mehr… heißt das doch für mich „dir kann ich das sagen und du verstehst es“. Genauso kann sie mir sagen „warum du das tust, versteh ich nicht“ und ich bin ihr dankbar dafür. Ob ich das umgekehrt schon getan habe weiß ich nicht – nicht weil ich mich nicht traue, sondern weil ich den Grund nicht hatte. Das kann nur sie beantworten. Wie oft habe ich das vermisst – jemand der sich hinstellt und mir sagt, was ich vielleicht nicht sehen konnte oder wollte. Natürlich habe ich solche Freunde auch in etwas greifbarer Nähe zu Velbert, aber die wirklich ehrlichen sind oft nicht genug….

Das war aber nur Teil 1 dieser Stadtrandkrone – dieser Urlaub beschenkt mich wirklich reichlich – noch habe ich den letzten Abend vor mir… als dieser Urlaub begonnen hat, da habe ich während der Fahrt angefangen Worte zu sammeln und bin nach meiner Ankunft zum Ausgleich spazieren gegangen…. habe die Gaststätte am Ort gefunden und mich auf einen Barhocker im Freien geschwungen, mein iPad „gezückt“ und geschrieben. Vielleicht hat der ein oder andere noch den Satz im Kopf “ …. an der Elbe spazieren gegangen und habe in der Dorfkneipe eigentlich nur ein ortstypisches Bier trinken wollen“ … nun gut das ortstypische Bier gibt es nicht mehr, aber freundliche Gäste, die mir einen trockenen Rotwein empfehlen. Und einen genauso freundlichen Mitarbeiter, der mir diesen bringt, neben der Karte, da ich zwar heute nicht mehr essen, aber sicher wiederkommen möchte…. etwas mehr als eine Woche ist das her und es ist hängen geblieben. Sowohl der freundliche Gast am Nebentisch, der durchaus verstanden hat, dass ich nicht reden wollte sondern schreiben, als auch der liebenswerte Anton – für mich die Seele der Kneipe – ich bekam meinen Wein, die Karte zum mal rein sehen und meine Ruhe zum schreiben. Als ich damit fertig war habe ich mich doch noch der Gaststätte zugewendet (und dem Gast).. und gewusst ich komme wirklich wieder. Das war wie mein Stammlokal als Prinzessin hoch x… Christian hat das Velberter Brauhaus schon zu etwas ganz besonderem gemacht, was immer schwer an „Zuviel“ gegrenzt hat. Hier war ich im 7. Himmel des „urig Zuviel“ , die Karte sowieso einladend und nachdem ich meine Gedanken aus dem Kopf hatte, die Gesellschaft einfach nur toll. Mit am Ende mindestens einem Wein mehr, als ich normal vertrage, hatte ich das Gefühl hier bist du richtig. Egal ob der Handlungsreisende, der am Anfang vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen hat, aber nach meiner Schreibwut ein toller Gesprächspartner war oder der liebevolle Anton… ich habe mich wohl gefühlt. Und so war es am Ende des ersten Abend gar keine Frage ob ich wiederkomme – der letzte Abend war gebucht. Und genau das war heute die finale Krone – im „Zum Eichbaum“ angekommen (Regen ohne Ende und kein draußen sitzen) hat Anton mich eingesammelt und an einen freien Tisch gebracht. „Mein Handlungsreisender“ (sorry falls du das liest, aber so habe ich dich betitelt in den letzten Tagen) saß neben an, mit Gesellschaft. Okay, dachte ich mir – dabei wird Anton sich was gedacht haben… und ja, das hat er – ein kleines Wörtchen zu den Herren am Nebentisch, ein Grinsen von Andreas und ziemlich ohne Umwege sitze ich mit drei dieser (ich glaube die heißen wirklich so) Handlungsreisenden am Tisch. Neben einem wirklich unglaublich geilem Essen (anders kann ich es nicht bezeichnen) hatte ich einen genauso geilen Abend! Andreas hatte mich wohl schon vorher erwähnt, aber zur Begrüßung lässt keiner wirklich etwas durchblicken und so haben wir schon viel Spaß bei der Vorstellung. Der ganze Abend ist nur gelungen und ich hätte nicht im Ansatz etwas dagegen, den dreien morgen wieder zu begegnen… ähnlich wie vor einer Woche, wird aus einem Wein ein wenig mehr und insgesamt ein wunderschöner Abend. Heute mit Musik aus Marcos Handy-Musikbox und Gesangseinlagen von Peter und Anton. Auch der Rest der Gäste trägt immer wieder zum Spaß bei. Etwas abgerissener als letzte Woche fallen die Gespräche mit „meinem“ Handlungsreisenden Nummer 1 aus, aber das ist so einem spaßigen Abend dann auch gerne geschuldet. Irgendwann muss Anton einfach in den wohlverdienten Feierabend und ich mich von diesem wunderbaren Abend losreißen. Dank Anton muss auch keiner durch den Regen um mich zu meinem Heim neben der Polizei zu bringen, angeboten wurde es mir mehr als einmal. Aber letztlich kann ich zum ersten Mal in meinem Leben sogar den Chauffeur-Dienst des besten Kneipiers genießen und fast trocken ein letztes Mal in meiner Unterkunft ankommen.

Eine wirkliche Urlaubszeit geht jetzt dem Ende zu – ich habe vieles Begriffen, einiges Erlebt und etliche neue Pläne! Diese 9 Nächte haben wirklich einen Unterschied gemacht!

Die letzten zwei Tage waren schon sehr entspannend. Ich genieße das Hamburger Stadtrand-Leben in meiner kleinen WG und bin froh, dass ich diese Erfahrung mache. Auf diese Art in Urlaub zu fahren gibt ganz neue Einblicke ins Leben. Du siehst was Du selber vielleicht besser machen könntest, was Du erreicht hast und wie ‚kompatibel‘ du bist. Airbnb ist für mich auf jeden Fall ein Gewinn!

Gestern habe ich mich treiben lassen und ein wenig an meinen Handerbeitserfahrungen gearbeitet…. Häkeln war nie meine große Leidenschaft, aber es gibt ein paar Dinge, die ich schön finde und so geht kein Weg drum herum… ein kleiner Kurs über Stäbchen, Kettmaschen und ähnliche Dinge führen mich zu der Möglichkeit mein Fischernetz um Seepferdchen und Korallen zu bereichern… noch ist ein wenig Phantasie nötig aber es wird. Nachmittags habe ich mich dann mit zwei Bekannten aus der letzten Reha getroffen. Ein toller Nachmittag angefüllt mit schönen Gesprächen und viel gegenseitigem Verständnis. Jede von uns hat ihr Päckchen zu tragen und manchmal ist es eben leichter, wenn man das teilen – mitteilen kann.

Heute war ich wieder in der Hamburger Innenstadt und habe mich treiben lassen. So bin ich am Chilehaus vorbei zur Speicherstadt geschlendert und habe einfach genossen, dass ich das alles erleben kann. Welches Glück das ist und wie kostbar jeder Tag ist, wird mir nur wenige Minuten nachdem ich ein paar Bilder auf Facebook geteilt habe klar. Eine knappe What’s App teilt mir mit, dass ein mir sehr lieber Freund plötzlich um sein Leben kämpft zuhause. Irgendwie wird alles so unwirklich- ich stehe hier in Hamburg und genieße den Augenblick und zuhause ist auf einmal eine Zukunft in Frage gestellt…. von Genuss ist in den nächsten Stunden nicht wirklich die Rede, in mir kämpft die Freundin, die sich sofort auf den Heimweg machen möchte, mit der Kranken, die unbedingt etwas Abstand gewinnen muss. Letztlich gehe ich den geplanten Weg weiter, da ich sowieso nichts ändern kann. Die Farben haben sich für mich veränder und alles was ich jetzt sehe wird ein Stück kostbarer. Gerade wenn es so deutlich wird, wie schnell alles vorbei sein könnte, ist das Auskosten der Erlebnisse intensiver. Meine Blicke auf die Sehenswürdigkeiten werden jetzt ergänzt durch Stoßgebete für den Freund. Neben den alten Fassaden sehe ich Abläufe, die sich mit Erfahrungswerten nähren… was bedeutet es bei dem Krankheitsbild, wenn….
Ich kürze meine Runde ein wenig ab, telefoniere mit zuhause und bin ein wenig beruhigter, da meine gedanklichen Abläufe sich mit dem, was gerade passiert decken. Trotzdem bleibt mein Blick ab jetzt immer halb auf dem Handy und giert nach Entwarnung. So gelange ich schließlich an die Binnenalster und treffe meinen Sohn zum Abendessen. Wir haben uns viel zu erzählen und ein paar Stunden sind im Handumdrehen vorbei. Umso schöner, dass wir uns am Sonntag wohl Wiedersehen. Dafür bin ich jetzt doppelt dankbar, da ich diesem Treffen nicht wirklich gerecht werden kann, so wie es gerade in mir aussieht. Kurz nachdem wir uns trennen kommt auch die erste beruhigende Nachricht von Zuhause – bisher läuft alles gut.
Ich setzte mich in den Zug und fahre zurück an den Stadtrand und verkrieche mich in mein Zimmer. Beschäftige mich mit Dingen, die meinen Kopf leer werden lassen und versuche runterzufahren. Kurz vor Tagesende kommt die Nachricht „OP überstanden, jetzt müssen wir die Nacht abwarten“ und ich wünschte ich könnte meine Freundin jetzt in den Schlaf wiegen und ihr all meine Kraft geben, da ich mir kaum ausmalen kann, was dieser Nachmittag sie gekostet hat. Beruhigt es mich, dass sie sowieso jeden abgewehrt hat und alleine sein wollte? Nicht wirklich – aber alles was ich jetzt tun kann, ist weiter dafür zu beten, dass es gut ausgeht und die Beiden noch viele gemeinsame Tage verbringen. Also werde ich jetzt mein Häkelzeug in Angriff nehmen bis ich den ‚ins Bett fall Punkt‘ erreicht habe und auf weitere gute Nachrichten morgen hoffen.

Billy Elliot on stage

Meinen ersten Tag in Hamburg widme ich dem Ausschlafen und Dorit. Der erste Teil ist um 11 Uhr erledigt allerdings lasse ich mir viel Zeit mit dem wach werden. Die drei Wein gestern waren nicht ganz ohne, zumal ich irgendwie vor lauter singen meine Marschverpflegung nicht wirklich gegessen habe. Aber im Urlaub ist alles erlaubt, also bummel ich vor mich hin, verabredet bin ich ja auch erst um 17 Uhr. Meine Fahrkarte kaufe ich online – das Tagesticket lohnt sich und ich muss mir um nichts mehr einen Kopf machen. Tinka parke ich an der S-Bahnhaltestelle „Mittlerer Landweg“ und noch vor 15 Uhr sitze ich in der S21 Richtung Hauptbahnhof.

Hier treffe ich auf das pulsierende Leben – Menschen mit und ohne Koffer, mit Stadtplan, Fotoapparat, Aktentasche und diversen anderen Utensilien strömen in alle Richtungen. Ich weiß ich war schon mal hier, quer über die Straße habe ich schon ein paar Nächte im Hotel verbracht, aber irgendwie ist alles anders. Ich lasse mich ein bisschen treiben und bummel an den Bahnhof-Geschäften vorbei bis ich die Touristen Information finde. Hier lege ich den Grundstein für das kommende Wochenende und kaufe eine 3 Tage Hamburg-Card. Außerdem sammel ich diverse Broschüren ein, die mir Rat geben können. Dergleichen bewaffnet schlendern ich in die Mönkebergstrasse und setzte mich in ein Kaffee… ein Espresso und ein Cider später ist es Zeit nach Dorit Ausschau zu halten. Die Zeit vertreibe ich mir derweil mit einer Wanderausstellung… obwohl das sicher nicht das richtige Wort ist. Ein Pavillon vor Saturn erklärt Stadtbegrünung und Bäume… Baumscheiben der Bäume des Jahres werden erklärt, Fichtenarten und Weihnachtsbäume ebenso…. und verschenkt. Von links werde ich angequatscht, welche Fichte mir den gefallen würde… ich wehre ab , erkläre, dass ich nur einen Balkon habe und das weit weg von Hamburg…. und schwups habe ich einen Strauch in der Hand mit der Erklärung: die Früchte sind lecker, der wächst im Topf und wenn Du den feucht hältst hast du in 9 Tagen ein Stück Hamburg bei Dir gepflanzt. Wer mich kennt, weiß das ich da nicht mehr nein sagen kann. Die logistische Frage was macht der Strauch im Musical lässt sich schließlich mit der Garderobe klären.

Schließlich kommt Dorit um die Ecke und wir fangen beide an zu schnacken als ob wir ewig beste Freundinen wären… immerhin kennen wir uns gerade mal eine Woche aus dem Urlaub letztes Jahr, kurzfristig habe ich befürchtet ich erkenne sie nicht einmal… die Zeit bis wir zum Bus müssen vergeht wie im Flug.

Billy Elliot wartet auf uns. Ich habe den Musical-Film im Fernsehen gesehen und fand ihn „naja okay“ … mittlerweile habe ich gelesen, dass dieses Gastspiel mit britischem Ensemble aufgeführt wird. Aber es gäbe Untertitel… okay Untertitel auf der Bühne, das kann ja heiter werden. Aber Dorit sagt, die Kritiken wären sehr gut und ich denke mit meinem Englisch sollte das vielleicht die richtige Herausforderung sein. Schon die Location ist toll. In den Großmarkthallen ist ein Theater integriert. Wir sitzen im Parkett, mittig und haben ein Familie vor uns, die uns nicht ein bisschen Sicht raubt. Perfekt!

Auf das, was jetzt kommt, bin ich nicht im geringsten vorbereitet. Und mir fehlen auch immer noch die Worte um es zu beschreiben. Es ist der Wahnsinn. Englisch in bester Arbeiterklasse, Dialoge mit Witz und Tiefgang, Lieder von einfach bis hoch anspruchsvoll, Tänze die dich mitreißen. Hier ist alles drin und du fühlst die Wut mit, die Verzweiflung und du träumst die Träume! Untertitel? Ja ich brauche sie von Zeit zu Zeit und sie stehen rechts und links neben der Bühne, aber im Großen und Ganzen sagen die Darsteller alles mit Bewegung und Tonlage aus. Ich bin überwältigt und merke gar nicht, wie die Zeit verfliegt. Der Film kann gegen dieses Musikal sowas von einpacken. Am liebsten würde ich nochmal von vorne schauen und kann es gar nicht fassen als es vorbei ist. Gemeinsam mit dem restlichen Publikum klatschen wir uns die Hände wund und kommen nur zögernd zurück ins hier als es vorbei ist.

Ich kann es nur jedem ans Herz legen, dieses Stück Geschichte zu erleben. Auch wenn es englisch ist, so spiegelt es auch vieles wieder, was den Strukturwandel bei uns ausgemacht hat. Egal ob Kinder oder Erwachsene Darsteller, alle sind einfach der Hammer und ich werde ihre Namen verfolgen um mehr davon zu erleben. Billy Elliot ist für mich von „unbekannt“ auf die Top 3 geschossen!

Mit Ingelore und Elisabeth Mitten ins Leben

Oder was man auf dem Weg nach Hamburg alles lernen kann.

Die letzten Monate waren turbulent, frustrierend, betriebsam und auch mit unvergesslich schönen Erlebnissen gefüllt. Leider waren sie auch wie ein Karussell, welches sich immer und immer weiter dreht und dir keine Chance lässt abzusteigen. Also bin ich gefahren, habe funktioniert, die Bremse gesucht und versucht das Beste daraus zu machen. Irgendwann musste ich von der Achterbahn auf das Kettenkarussell wechseln, aber auch da ging es immer rund und rund. Verpflichtungen, selbst auferlegt und von außen vorgegeben, haben mich angetrieben. Du kannst den nicht hängen lassen, du musst das bis dahin fertig haben – mein Mantra an jedem neuen Tag. Persönlicher Ergeiz, Verantwotung gegenüber dem Job, der Familie und das Bedürfnis den Kontakt zu Freunden nicht zu verlieren haben mich über Wasser gehalten, aber eben auch immer ein wenig zu intensiv schwimmen lassen. Seit mehr als einem Jahr liegen mir meine Ärzte in den Ohren…. Sie müssen was ändern heißt es. Das macht ihr Herz nicht mehr lange mit, da streikt ihr Rücken bald, das kann den nächsten Sarkoidoseschub auslösen…. nur bei dem ‚was ändern‘ da wollte sich keiner so recht festlegen… die Achterbahn anhalten ohne das man beim Bremsen übel stürzt? Vom Kettenkarussell runterspringen? Nun den Fahrgeschäfte-Wechsel hat mir das Leben vor die Füße geworfen und ich bin ohne jede Wahlmöglichkeit umgesprungen. Und ich habe den Sprung überlebt – nicht nur sprichwörtlich wie sich herausgestellt hat. Mein Herz wollte aufgeben, mehr als einmal hat es angehalten, überstürzt weiter geschlagen und gekämpft. Einmal musste es dazu überredet werden, aber dafür habe ich ja schließlich die eingebaute Lebensversicherung- scheiss weh hat es getan als der Defi seinen Zweck erfüllt hat. Zumindest war ich ihm dankbar, nicht so wie vor 7 Jahren, als ich mich gefragt habe, wozu das alles. Nein ich wollte überleben, egal wie weiter machen. Und so sitze ich im Kettenkarussell, versuche es spaßig zu sehen, mit den Beinen zu baumeln und mit jeder Runde ein Stück mehr ’neues Dasein‘ aufzubauen. 

Kurz nach diesem Sprung war mal wieder Fahrkartenkontrolle… aufgezeichnete Daten wurden mit meinem Patiententagebuch abgegelichen. Auch wenn vorher jeder geschworen hat, dass ich einen solchen Wechsel – nicht nur von Karussell zu Karussell sondern sogar zur nächsten Kirmes nicht überleben würde, haben die Daten gezeigt, dasss es am wichtigsten war die Achterbahn zu verlassen. Auch wenn mein Herz immer noch zu schnell schlägt, es stolpert nicht mehr. Ein Schritt nach vorne. Natürlich reicht das nicht für ein wirkliches Leben, aber es ist ein Anfang. Mit dieser Aussicht haben mich die Ärzte weiter fahren lassen, allerdings auch mit Auflagen. Bis zur nächsten Kontolle muss ich das Karussell einmal verlassen. Ganz! Nur ich, für mich, keine Verantwortung, keine Verpflichtung, keiner, der meine Zeit beansprucht. Nicht für ein paar Stunden, sondern für mindestens eine Woche. Wenn mir das nicht gelingt, dann musss ich damit rechnen, ganz aus dem Geschäft zu fliegen, vielleicht zu überleben, aber ohne jede Aussicht auf Leistungsfähigkeit, Teilhabe am Arbeitsleben und mehr. Ein Herz kann nur begrenzt zum Schlagen gezwungen werden und mit jeder Wiederbelebung erleidet es nicht gut zu machenden Schaden.

Soweit die Vorgeschichte- was hat das mit Ingelore oder Elisabeth zu tun? Fragt ihr euch vielleicht. Warum machen diese 7 Tage so einen gravierenden Unterschied? Das habe ich mich gefragt. Hier die ersten Schritte zur Lösung:

Damit ich eine Woche nur für mich hinbekomme, habe ich 9 Nächte Hamburg geplant, 2 Tage mehr, schließlich ist Auto fahren keine Erholung. Ich liebe Hamburg, die Menschen, die Nähe zum Meer, die Elbe und alles was dazu gehört. Hier habe ich Familie und Freunde, die sich zwar freuen, wenn sie mich sehen, aber in keiner Weise auf mich angewiesen sind bzw. die selber in so einer gesundheitlichen Zwickmühle stecken. Also alles kann, nichts muss! Damit das so bleibt buche ich für kleines Geld statt mich bei jemandem einzunisten – Kettenkarussell fahren ist teuer (von der Achterbahn mal ganz zu schweigen) – ein Zimmer über Airbnb am Stadtrand und lege mich vorher nicht fest was ich mache, mit wem oder wo… naja mit einer klitzekleinen Ausnahme – meine Leidenschaft Musical bedingt eine Karte und die wird im Vorfeld organisiert. 

Und so mache ich mich auf den Weg – wohl durchdacht und geplant mit der üblichen Verspätung, weil ja doch etwas dazwischenkommt.  Kurz vor der Wohnungsübergabe meldet sich ein verstopftes Rohr und die Küche möchte nicht überschwemmt werden. Aber schlussendlich kann ich mich ruhigen Gewissens auf den Weg machen. Knapp 400 Kilometer gen Norden, Radio an, weil wo sonst, wenn nicht im Auto höre ich Nachrichten?  Kilometer fressen ist angesagt, schließlich muss Tinka ja mal durchgepustet werden und leicht angespanntes Fahren. So verbringe ich die Zeit – kurz vor dem Karmener Kreuz meldet mein Navi, ich sollte die A1 verlassen und Münster großräumig umfahren. Stimmt habe ich eben im Radio gehört, ein LKW Unfall verursacht gut 90 Minuten Verzögerung. Braucht kein Mensch, also Wechsel ich auf die A2 und mein Navi verkürzt um glatte 30 Minuten. Puh, wieder nah am Plan.

Klopf klopf… was ist? Klopf klopf… was willst du? Denk mal nach…. früher… als du noch jeden Tag knapp 100 Kilometer gefahren bist… Ja und? Was hast du da immer gemacht? Was hast Du gesagt? …. das war in einem anderen Leben! Na gut ist gerade 8 Jahre her oder 9…. der Weg war Entspannung. Also was willst du, du blöde innere Stimme? 

Ingelore! Meine Rolle im Theater im Mai! Frühere Opern(Chor) Sängerin – das Singen war ihr Leben! Aber nach einer Kehlkopfentzündung war es nicht mehr das selbe. Ja, meldet sich mein Alter-Ego… das Singen war Teil deines Lebenstraum… so wie das Tanzen und Schauspielern. Okay tanzen schafft dein Herz nicht mehr, Singen geht nach der Kehlkopfentzündung im echten Leben nicht mehr… aber du sitzt im Auto! Keiner hört dich, so wie früher auf dem Weg zur Arbeit oder nachhause. Also sing! Hier hört keiner wenn die Töne abbrechen, hier bist du allein wenn du dich auslachen musst! Hier brauchst du nicht die eingebildeten Marotten von Ingelore, deiner Bühnenfigur, sondern bist einfach für dich! Okay Gewonnen, ich wechsel von Radio auf CD und schmetter als ginge es um mein Leben. Und das tut es auch! Mit jedem Song, den ich singe kommt eine Erinnerung – an Fehler die ich gemacht habe, an eine Liebe die ich verloren habe, an ein gebrochenes Herz, aber auch an die unendliche Liebe zu meinem Kind, die unverbrüchliche Treue meiner Mama, das unglaubliche Glück in diesem Leben aus jeder Situation gestärkt hervorgegangen zu sein – Lebensfähiger! Besser in der Lage, das Gute im Leben zu sehen. Ich breche ab, wo meine Stimme nicht mehr reicht, die zusätzliche Erkältung Töne unterschlägt, aber ich singe, fühle und erlebe! Lebe wirklich mit allem für und wider. Selbst der Idiot, der meint aus zwei Spuren drei machen zu müssen, weil er ein Zweirad überholt und mich knapp hinter ihm nicht sieht, kann mich nur kurz aus dem Gleichgewicht bringen. Danke Ingelore, dass Du mich erinnert hast, was Singen bedeuten kann.

Plötzlich sind die Kilometer keine Qual mehr, nein es macht Spaß, die Zeit fliegt dahin und der Weg wird wieder zum Ziel. So wie früher, auf dem Weg zur Arbeit oder quer durch Deutschland einem Urlaub entgegen (damals meist am Segelflugplatz) Bilder meiner ersten großen Liebe stehen mir vor Augen, Bilder des ersten großen Herzschmerz…. des zweiten… und da komme ich von Ingelore zu Elisabeth… vielleicht nicht unbedingt genau heute (vielleicht auch doch) sagt dieser eine bekannte Musical Song alles aus, was für mich und wahrscheinlich viele Frauen gilt! Schon zu Beginn bohren sich die Sätze in meinen Kopf und mit jedem weiteren Stück Text legen sich die Puzzleteile zusammen. Das muss ich hier nicht schreiben, dass kann sich jeder anhören. Danke Elisabeth, mit diesem Lied ist so vieles gesagt – über betrogen sein, über wie man eine Frau halten kann, aber eben hauptsächlich das sie sich immer noch selbst gehört. 

Ich bin am Anfang der „nur für mich“ Woche, aber ich habe auf diesem allerersten Schritt schon viel gelernt! Ich bin nicht mal im Ansatz bei „ich bin in der WG angekommen, um den See und an der Elbe spazieren gegangen und habe in der Dorfkneipe eigentlich nur ein ortstypisches Bier trinken wollen“ – aber warum 7 Tage einen so großen Unterschied machen können, das habe ich heute gelernt! Und das ich mehr als nur überleben möchte! Ich möchte da sein für die Menschen, die mich zu schätzen wissen, aber ich möchte darüberhinaus jeden Moment, auch den Weg, mit Qualität erfüllen, Qualität die mir Kraft gibt!

Corby Carnival 

Samstag morgen ist es wieder schön warm und ich bin dankbar, dass ich mich für eine luftige Kostümierung entschieden habe. Bis 10 Uhr gibt es Frühstück und in diesem Zusammenhang eine freudige Überraschung, da das Buffet aufgewertet wurde und sich neben frischem Obst auch Käse in der Auswahl befindet. Ein nicht zu verachtendes Plus, da das typische englische Frühstück hier etwas fade ist. Nach und nach trudeln alle ein und es ist wieder ein farbenfrohes Grüppchen beieinander.

Der Carnival hier in Corby hat jedes Jahr ein Motto und jeder kann sich hierzu etwas einfallen lassen. Manche von uns nehmen diese Gelegenheit wahr, aber viele tragen die traditionellen deutschen Ornate und Garden-Kostüme. Das diesjährige Motto „Stars aus Fernsehserien“ hat mich dazu animiert eine der Frauen aus meiner Lieblingsserie „Friends“ zu wählen – immerhin habe ich mit dieser Serie mein Englisch trainiert. Das Outfit des Corby Court entspringt einer älteren Serie und ihre Kleider sind den damaligen Tanzkleidern nachempfunden.
Statt im Rosenmontagszug sind wir hier mit einer Parade unterwegs. Wie bei uns gibt es Fußgruppen und Wagen, die liebevoll dekoriert wurden. Wir versammeln uns zunächst am Grampian Club – mehrerer Räume können hier angemietet werden und es gibt Pub… in dem Wissen, dass während Parade und anschließender Open Air Veranstaltung eine Durststrecke vor uns liegt, genießen wir den kühlen Innenraum bei Cola, Lager, Cider oder Wasser. Unser Bus wird am Ende der Parade mitfahren und wir müssen uns vom Kinderprinzenpaar trennen. Wir gehen mit Stadtteil Prinzessinen, Müttern und einigen Gast-Courts auf einen Wagen (float), wogegen das Prinzenpaar mit dem Corby Court in der Kutsche fahren wird. Entgegen der letzten Jahre hat unser Auflieger kein Dach und wir können uns auf pralle Sonne freuen.

Hoheiten in der Kutsche
Das Kinderprinzenpaar in der Kutsche
Unterwegs mit dem Auflieger

Es ruckelt auf unserem Wagen

Queens und Princesses von Corby

Das Corby Court

Vom Club geht es in die Zugaufstellung wo Marcel, Marie-Lena und ich erst eine kniffelige Aufgabe lösen müssen, bevor wir an feiern denken dürfen. Mittlerweile ist es Tradition, das das Prinzenpaar gemeinsam mit mir und meist einem weiteren Jury Mitglied die besuchenden Courts bewerten. In diesem Jahr gibt es 7 angekündigte Courts, aber 2 sind bis zum Start der Parade nicht da. Mit Stift und Auswerte-Unterlagen machen wir uns daran die „Queen of Queens“ zu finden. Hier sollen wir darauf achten,  wie sie ihren Prinzessinnen zur Seite steht, von sich aus die Konversation mit unserem Prinzenpaar führt und weiter Kleinigkeiten, die eben eine Queen ausmachen. Außerdem gibt es die Kategorien „Princess of the day“, „Court of Courts“ und „best float“ – letzteres ist dieses Jahr leicht, da leider nur 2 Courts eine Kutsche haben. Aber bei all den Prinzessinnen, Queens und Bewertungsmaßstäben ist es nicht einfach zu einer Meinung zu kommen. Schließlich ist es geschafft und wir können die Listen abliefern und uns anderen Dingen zu wenden.
Ich werde aus allen Ecken begrüßt, über die Jahre habe ich viele Bekanntschaften in Corby entwickelt. Die Wartezeit vergeht dieses Jahr wie im Flug und schon bald stehe ich mit auf unserem Wagen. Der niedrigere Aufbau macht einiges leichter und ich finde die bessere Augenhöhe zu den Zuschauern gut. Allerdings mangelt es doch sehr an Fixpunkten, so dass ein sicherer Stand das A und O während der Parade ist. Der Auflieger lässt sich wunderschön in Schwung bringen und mehr als einmal hüpft es heftig… die Parade beginnt unerwartet pünktlich und wir rollen im ersten Teil des Zuges mit.

Am Wegrand stehen Leute vor ihren Häusern, winken und machen Bilder. Üblicherweise wird in England nichts geworfen, aber in diesem Jahr gibt es doch zwei Teams, die kleine Süßigkeiten-Tüten unter das Volk bringen. Die Zuschauer sind durchweg nicht verkleidet, es herrscht kein dichtes Gedränge, wie man es bei uns kennt, aber die Menschen, die am Rand stehen, sind wirklich da um die bunte Menge zu sehen und den Carnival zu erleben. Mit der Parade laufen einige Geldsammler: in Eimern werden Spenden von den Zuschauern gesammelt, mit denen unter anderem die Parade unterstützt wird. Es ist eine angenehme Abwechslung nicht um Süßigkeiten angebettelt zu werden und dabei zu erkennen, dass der eigentliche Brauch nicht verstanden/geachtet wurde. Kein Gemurre über die Wurfmaterialien, weil sie zu weich, hart, klein, alt oder was auch immer sind…. auf unserem Wagen wird gesungen, getanzt und gewunken. Ab und zu werfen wir auch ein Helau in die Reihen und haben unseren Spaß vom Wagen aus einen kleinen Einblick in die englischen Vorgärten zu erhaschen. In den Spaß mit und für alle mischt sich für mich die Freude, dass unser mitreisender Nichtkarnevalist voll dabei ist – so wie er Stimmung aufnimmt und verbreitet, kann mancher von uns noch etwas lernen.

Zum Ende der Parade bin ich um einen spaßigen Umzug und einen Sonnenbrand reicher – nach 7 Jahren überdachtem Float war mein Kostüm ein nicht ausreichender Sonnenschutz auf dem offenen Tieflader. Aber es tut der Stimmung keinen Abbruch, als wir am Westgleb Park ankommen. Hier ist ein kleiner Fun Park aufgebaut, in dessen Zentrum der Bus von Corby Radio steht. In Liveübertragung werden hier Teilnehmer geehrte, Trophäen überreicht und Tanzdarbietungen musikalisch und mit viel Kommentaren von Chuck in den Äther übertragen. Gemeinsam mit den anwesenden Courts werden auch wir in die Arena gebeten und vorgestellt, bevor wir uns ein wenig die Zeit vertreiben.

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Anschluss geht es mit dem Bus zurück ins Grampian zum Queens Tea  – neben Sandwiches und Sweets gibt es Tee und Limonaden. Angenehm ist die Tür zum angrenzenden Pub, so dass wir uns auch ein Cider oder Lager gönnen können. Nach gut 5 Stunden Alkohol freier Zone wegen anwesender Kinder in öffentlichen Bereichen gleitet so eine Erfrischung wohltuend durch die Kehle, das muss ich zugeben. Während die Veranstalter letzte Vorbereitungen treffen, entwickeln sich einige Gespräche und ich bedaure bei einigen, dass ich sie nicht weiterführen konnte (wer sich mit mit mir unterhalten hat, bitte melden ich habe da noch 1-100 Fragen). Aber schließlich kommen wir noch zu einem offiziellen Teil, den ich nicht verpassen darf. Übersetzen muss ich allerdings in diesem Jahr gar nicht mehr! Ich kann einen großen Teil einfach nur genießen.

Die Carnival Queen Rosalind startet mit einer Dankesrede und dann werden Queens, Floats etc. geehrt – ein Blick in die Gesichter zeigt mir, dass unsere Arbeit in der Zugaufstellung sich gelohnt hat. Schließlich kommt der Teil wo unsere Tradition sich in die englische eingewoben hat und auch unser Prinzenpaar hat noch einen offiziellen Auftritt, verleiht Orden und bedankt sich für diese tolle, neue Erfahrung. Aus Velbert gibt es ergänzend eine Ehrung für die unermüdliche Terri, neue Court-Orden und einen neuen Freundschaftsorden. Am Ende wird viel gebützt, geherzt und gelacht. Ich bin einmal mehr froh, dass wir die Jugend für Corby begeistern konnten.

 

      

 

 

 

 

 

Der offizielle Karneval ist nun vorbei, aber unsere schöne Zeit noch nicht – für eine kurze Umziehpause geht es ins Hotel und dann zurück ins Grampian. Jetzt ist zwanglose Party angesagt, Nick von Corby Radio versorgt uns mit Musik, schottische Tanzdarbietungen werden gefolgt vom deutschen Kinderprinzenpaar Tanz und diversen Partytänzen. Mit einer Tombola/Raffle wird ein wenig finanzielle Unterstützung generiert und am Rand hat jeder die Möglichkeit Spaß-Fotos zu machen. Die Zeit bis zur „Last Order“ vergeht wie im Flug. Einige von uns nehmen noch eine Einladung wahr, der Rest wird ins Hotel gebracht.
Ich selber bin mit dabei noch etwas weiter zu ziehen und der privaten Einladung von Tracy und Doughi zu folgen. Schlaf technisch sicher ein Fehler, da es nun eine sehr kurze Nacht werden wird, aber für den Spaßfaktor ein großer Gewinn. Und schließlich endet dieser Tag eher früh am nächsten Morgen in unserem Hotel.

 

 

Karneval ganz anders

Freitag um 3:40 schiebe ich gesammelte Koffer Richtung Fahrstuhl, winke den Katzen ein schnelles Tschüss zu und mache mich auf den Weg nach England. Freudig überrascht sehe ich unten vor der Tür unseren Bus und die Ersten, die über die Straße kommen um mir dabei zu helfen Ornate, Fasanenfedern und Karnevalskostüme zum Bus zu schieben. Und es regnet nicht, wir alle stehen da im T-Shirt… für mich mittlerweile fester Bestandteil meines karnevalistischen Daseins, ist es doch immer wieder ein interessantes Gefühl sich im Sommer mit diesem, in Deutschland eher winterlichem Brauch auseinander zusetzen.

Schnell sind Koffer, Kleidersäcke, Getränke und Geschenke verladen und um 3:58 schließen sich die Bustüren. Eben durchzählen, keiner zuviel , keiner zuwenig im Bus und 3 Minuten später rollen wir. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so pünktlich (und so früh) losgefahren zu sein. Etliche Stunden, Kilometer, Länder, eine Fährfahrt später treffen wir uns mit unseren Freunden in Corby. Unsere Partnerstadt in Großbritannien pflegt den selben Brauch, wie wir hier in Velbert. Also zumindest dem Namen nach. Wir fahren zum Carnival ….

Das frühe Abfahren hat sich gelohnt, ohne nennenswerte Verzögerungen erreichen wir Calais. Selbst in Antwerpen hält uns kein Stau auf. Die Grenzkontrolle haben wir zügig hinter uns. Dank ‚oberlehrerhafter‘ Planung sind Papiere da, jeder Jugendliche steht bei den zugeteilten Erwachsenen, die für diese Fahrt die Verantwortung von den Erziehungsberechtigten erteilt bekommen haben, mein leicht gluckenhafter Blick hinter den Beamten ist völlig überflüssig, alle kommen in ihren Grüppchen sehr gut zurecht. Langsam gewöhne ich mich daran, dass ich nicht mehr übersetzen muss und gemeinsam amüsieren wir uns über die Fragen und Gesichter der Grenzer – was wollt ihr denn ausgerechnet in Corby? Ihr feiert da Karneval?? Auch der Ärmelkanal ist auf unserer Seite und wir genießen die Überfahrt bei ruhiger See, Sonne und genug Sitzplatz auf dem Oberdeck. Eine besonders zutrauliche Möwe begeistert ihre Zuschauer und gefühlt im Handumdrehen erreichen wir die Steilküste und Dover.

Leider wird es jetzt doch ein bisschen zäh und wir kämpfen uns im Stop and Go über die nächsten Meilen bis wir die Autobahn Richtung London erreichen. Zwischen ‚wir wollen schnell an London vorbei‘ und ‚ich muss mal, aber das Chemie-Klo ist überfordert‘ hin und her gerissen stehen wir im nächsten zähflüssigen Verkehr und passieren Dartfort Crossing und damit eines der größten Nadelöhre. Der nächste Rastplatz ist unser und alle fliegen aus dem Bus raus mit der Order zügig Pipi zu machen und zu rauchen, damit wir keine unnötige Zeit verlieren. Und wieder sind alle Zack Zack fertig und zurück im Bus sobald die vorgeschriebene Pause beendet ist. Wenn das dieses Wochenende so bleibt, habe ich tatsächlich auch Urlaub – toll!

An den erwarteten Stellen staut es immer mal wieder, aber wir fressen kontinuierlich Kilometer oder eben Miles. Trotzdem zieht sich das ganze in gefühlte endlose Länge. Aber wir kommen in Corby an, nach so vielen Jahren kenne ich den Weg und schiele nur zur Sicherheit auf die aktuelle Karte, schließlich weiß man nie ob unsere Partnerstadt genauso viele Baustellen einrichtet, wie sie zuhause zu finden sind.

Wir sind am Hotel, Hurra! Und werden von einem leuchtenden roten Spalier begrüßt. Das Corby Carnival Court ist geschlossen zu unserer Begrüßung da. 6 mal Jugend zwischen ca 11 und 19 Jahren in Sommerkleidern, mit Tiara und Schärpe sehen uns entgegen und ich kann kaum schnell genug aus dem Bus kommen um sie in die Arme zu nehmen. Immerhin fiebern wir diesem Wochende seit März entgegen.

Anders als bei uns, werden hier Wahlen abgehalten, da es immer mehr Bewerberinnen als Hoheiten gibt. Im März sind sie angetreten, haben eine Rede gehalten, gezeigt ob sie uns in die Augen sehen können und stolperfrei eine Treppe herauf und wieder herunter gehen können. Was für viele vielleicht einfach klingt, ist eine echte Herausforderung- Selbstsicherheit, klarer Blick und Ausprache zählen mehr als das gängige Schönheitsideal. Nicht für ein paar Wochen, sondern für ein ganzes Jahr werden die Queens und Princesses ihre Stadt vertreten. Hier in England gibt es nicht die eine 5. Jahreszeit, sondern in diversen Städten unterschiedlich Carnivals, zu denen man sich gegenseitig besucht und repräsentiert. Das Corby Court setzt sich dabei aus einer Queen mit zwei Prinzessinen (älter als 14) und einer Junior-Queen mit zwei Prinzessinnen (zwischen 11 und 14) zusammen. Neben den vergnüglichen Besuchen übernehmen die Mädels eine Menge Pflichten, da sie ein Jahr lang verschiedene Spendenveranstaltungen unterstützen werden. Von Einkaufstaschen packen bis zu Fallschirmsprüngen war in den Jahren, die ich diesen Brauch teile schon alles dabei. Dabei ist es Aufgabe der Queen, ihr Team zusammenzuhalten, bei Problemen zu helfen, Streit im Stillen zu schlichten und Sorge zu tragen, dass Corby stolz sein kann, wann immer dieses Court für die Stadt eintritt.

Dieses Jahr habe ich es geschafft im März bei der Wahl und Krönung dabei zu sein und die Mädchen mit ihrem Caperon in den ersten Stunden zu begleiten. Der Caperon, liebevoll auch Queen Mum genannt, ist Taxifahrer, Freundin, Lehrer, Projektplaner, Geldsammler, Seelentröster, Werbemanager, Elternbändiger und so vieles mehr. Hier in Corby ist dies Terri’s größtes Hobby – ein Ehrenamt mit viel Verantwortung, welches sie, nicht nur in meinen Augen, wunderbar wahrnimmt. Oft genug war ich Zeuge, wie ihr Rat von anderen gefragt war und ‚ihre‘ Mädchen Preise einsammeln. Die Details gehören zum nächsten Tag…

Jetzt gerade vermisse ich genau diese Seele des Corby Carnival. Zwar stehen die Mädchen nicht alleine zum Empfang bereit, aber Terri ist noch unterwegs um unsere Flieger einzusammeln. Neben den 21 Gästen im Bus haben sich 8 weitere Velberter mit dem Flieger auf den Weg gemacht – leider fehlen da Urlaubstage um die ganze Zeit dabei zu sein. In jedem Fall ist der Empfang herzlich und quirlig. Koffer werden ausgepackt, Zimmer zugewiesen und neben den Mädchen werden Dave und Graeme begrüßt. Noch während ich sortiere, Listen prüfe, Zimmerkarten austeile und alle Anwesenden versorge, kommen auch die Autos aus Birmingham an. In dieser Stunde weiß ich gar nicht ob ich noch wirklich auf dieser Welt bin – Schlafmangel mischt sich mit Freude, Sorge und einer Fülle von Liebe. Schließlich ist alles geklärt, die ersten gehen schon zum gemütlichen Teil des Abends über, ich habe Terri und Stan begrüßt und endlich auch mein eigenes Gepäck auf dem Zimmer.

Wenn wir in Velbert Karnevalisten zählen kommen wir auf eine dreistellige Zahl in verschiedensten Vereinen. Hier in Corby liegt alles das auf den Schultern einer kleinen Gruppe, die in den letzten Jahren zwischen 6 und 8 Personen geschwankt hat. Bis wir das traditionelle Fish and Chips Dinner verputzt haben, haben sich alle aktuellen Committee Mitglieder eingefunden. Außerdem amtierende und ehemalige Bürgermeister, Familienmitglieder und andere Freunde. Ein Gespräch reicher Abend nimmt seinen Lauf und Pläne werden ausgetauscht. Nach und nach leert sich das Hotel und der nebenan liegende Pub, schließlich liegt nach einem langen Tag DER Karneval vor uns. Ich bin beileibe nicht die letzte, die auf ihr Zimmer geht und müde in die Kissen sinkt. Leider tobt, wie so oft, der Sturm des Tages durch meine Gedanken. An einschlafen ist nicht zu denken. Also schnappe ich mir mein iPad und bringe zuende, was ich im Bus begonnen habe. Keine Ahnung ob ich morgen dazu komme das Erlebte weiter zu berichten, aber selbst, wenn ich auf der Rückfahrt ’nachliefer‘ gibt es noch einiges zu berichten von dieser ganz anderen Tradition, die sich dann doch so mit unserem Karneval verwoben hat, dass es immer mehr Freunde dieser gelebten Städtepartnerschaft gibt. Für unseren und den Corby Carnival, für die Verbundenheit mit Corby im Allgemeinen und vieles mehr wünsche ich mir, dass wir Schule machen und an die Jahre anknüpfen, als sich auf allen Seiten darum gerissen wurde Teil dieses Austausch zu sein.